Nachdem endlich irgendwann weit nach Mitternacht die Musik nicht mehr über den See geweht hat, und auch das Geduddel am Hotelpool aufgehört hat, konnte ich versuchen zu schlafen. Hier in den Bergen auf einer Höhe von knapp 1000 Meter ist es nachts schon empfindlich kühl. Da helfen nur Wollsocken, Wollpulli und eine Fleecedecke, damit ich in meinem dünnen Schlafsack nicht friere.

 

Für mich noch mitten in der Nacht, höre ich draußen ein beständiges Gemurmel. Auf meinem Weg zur Toilette schallt mir aus den Duschen ein fröhliches „Guten Morgen" entgegen. Die Reisebusgruppe macht sich bereit um zügig abfahren zu können. Ne, nicht so früh. Lieber kuschel ich mich wieder in meinen Schlafsack rein. Aber auch das darf ich nicht allzu lang.

Kaum ist der Bus abgefahren und die Sonne am aufgehen, schält sich Tilman aus seinem Schlafsack und geht duschen. Ich dreh mich noch mal um, ist mir viel zu kalt zum aufstehen.

 

Dampfend vor Wärme kommt Tilman zurück und macht sich gleich mal dran Nudelsuppenfrühstück zu kochen. Ok, das überzeugt mich dann doch aufzustehen, und unter die Dusche zu verschwinden. Mei, ist das schön warm. Da magst gar nicht mehr drunter vorkommen.

 

Tilman hat es sogar geschafft mir ein paar Gabeln mit Nudeln übrigzulassen, obwohl ich solange duschen war. Fast das ganze Zelt hat er auch schon abgebaut. Meine
Duschzeit war wohl extrem lang.

Heute wollen wir nach Ankara ins Atatürk Mausoleum. Bevor ich allerdings alles aufs Moped packen kann, muss ich warten ob die Kischt anspringt. Zum Überbrücken muss Tilman an die Batterie unter meiner Sitzbank ran. Die letzten Tage ist das immer öfter passiert, dass sie nicht anspringen wollt.

 

Dieses mal klappt es erstaulicherweise gut. Ich packe den Rest aufs Moped und bemerke, dass schon wieder Sprit ausgelaufen ist. Nicht viel, trotzdem schick ich mal
eine SMS an meine Kollegen daheim, ob das vielleicht an dem kalt-warm Wechsel
liegen könnte, und vieleicht eine Dichtung nicht mehr richtig funktioniert. Die Antwort
wird dauern, immerhin ist in Deutschland erst 8:30 Uhr und in der Türkei 9:30 Uhr.

Der Weg in Ankaras Zentrum ist sehr kurz. Nach noch nicht mal 45 min stehen wir schon vor dem Eingang. Naja nicht direkt davor, sondern an der breiten, beschrankten Auffahrt für Busse. Das Sicherheitspersonal weist uns an auf der gegenüberliegenden Seite zu Parken.

Wie könnte es anders sein direkt neben einem Taxistand. So unbewacht ist uns
das nicht wirklich recht. Alle Koffer und Taschen sind abgeschlossen, die
Kamera parat, doch wir müssen erst durch den Metalldedektor. Rucksäacke dürfen
nicht mit rein. Tilman muss seinen Trinkrucksack abgeben, bekommt ihn aber
umgehend wieder, als die Beamten feststellen, das da Flüssigkeit drin ist.

Meinen Helm darf ich auch nicht mitnehmen, der wird in einem Fach verschlossen.
Auf unsere Bitte hin versichern uns die Wachleute ein Auge auf unsere
Motorräder zu haben. Besseren Schutz gibt's hier glaub ich nicht.

Wir sind gespannt, was wir diesmal an Eintritt zahlen müssen, denn hier ist alles super sauber, gepflegt und in einwandfreiem Zustand gehalten. Das Atatürk Mausoleum kostet keine Eintritt und alle die hier zum besichtigen da sind, haben sich in Schale geworfen. Da fallen wir in unserer Motorradkluft richtig auf.

 

Um einen riesigen quadratischen Platz ist das Mausoleum, das Museum, sowie die riesige Eingangstreppe und der Zugang zum Atatuürk Park platziert. Säulengänge verbinden 2 Türme, in denen die Fahrzeuge untergebracht sind.

Leider dürfen im Museum selbst keine Bilder gemacht werden. So durchwandern wir die Ausstellung. Und bekommen in einer Ahnengalerie, die Pfeifen, Schwerter und Pistolen von Kemal Mustafapasha Atatürk zu Gesicht. Auch ein Teil seiner Garderobe wird ausgestellt. Ein anderer Teil des Museums widmet sich seinen Feldzügen und den daran beteiligten Generälen. Unter anderem gab es da auch ein Frauenbatallion. An einer Wand hängt die Karte Anatoliens (Türkei). Beim Betrachten der Karte, wird uns klar, im Vergleich zur Größe der Türkei  haben wir grade mal den Zacken einer Briefmarke gesehen.

Am Ende des Rundgangs sind Gästebücher ausgelegt und der freundliche Aufpasser ermutigt uns etwas reinzuschreiben. Am 23.09.2012 haben sich Tilman Seel und Larissa Ritschel im Gästebuch des Atatürk Mausoleums eingetragen.

Draußen werden wir von der gleißenden Mittagssonne geblendet. Und ich bekomme Kopfschmerzen und Halsweh. Klimanlagen sind nicht gut für mich. Wir schlendern über den großen Platz und bekommen die Wachablösung mit. Wie die Zinnsoldaten müssen die armen Kerle jeweils zu zweit an den Eingängen Wache stehen.

Auf unserem Weg zurück zu den Motorrädern, fällt die Entscheidung durch Istanbul zu fahren. Ausschlaggebend ist dafür auch, dass wir Touratech und CC-Custom besuchen möchten. Außerdem wollen wir wenigstens kurz einen Blick aufs "Kara Deniz", das schwarze Meer werfen.

 

Im nächsten Minimarkt fragen wir nach einem Bankomaten. Doch mit der Beschreibung kommen wir nicht zurecht. Inzwischen wissen wir es kommt was kommt und wir werden zur rechten Zeit schon finden was wir brauchen. Für türkische Verhältnisse, geht es auf Ankaras 4/5 spurigen Straßen sehr gesittet zu. Kaum ein Huper und alle bleiben auf ihren Spuren. Ich entdecke einen HONDA-Händler und wir beschließen kurz anzuhalten um nach meinem Benzinhahn schauen zu lassen.

Wenn ich schon dabei bin, frag ich auch gleich nochmal nach einem Bankomaten. Freundlich gibt mir der Wachmann zu verstehen, dass es im Laden einen gäbe. Das gibt's doch nicht, ein Bankomat beim HONDA-Händler??? Tilman wartet im Schatten bei den Motorrädern und ich zuckel mit dem Wachmann los. Es geht Treppen nach oben, und ich steh im Austellungsraum für Autos. Der Sicherheitsmann führt mich weiter und tatsächlich da steht ein Bankomat. Das gäbe es bei uns nicht. Der Geschäftsführer kommt strahlend auf mich zu und überschüttet mich mit einem Schwall englischer Begrüßungsworte.

Ich soll Tilman holen, damit wir einen Kaffee oder Tee zusammen trinken können und einwenig plaudern. Also gut noch mal die Treppe runter und raus in die Hitze. Die Wachmänner versichern uns auf die Motorräder aufzupassen. Auch Tilman will es erst nicht glauben, dass da ein Bankomat drin stehen soll.

 

Während er Geld zieht, erkläre ich dem Geschäftsführer mein Benzinproblem. Daraufhin möchte er sofort seinen Mechaniker anrufen. Anrufen? Hat die Werkstatt nicht auf? Nein erklärt er mir, Sonntags schick er seine Leute nach Hause und heute wäre so was wie verkaufsoffener Sonntag. Schon zückt er sein Handy, aber ich halte ihn davon ab anzurufen. Niemals würde der Mechaniker zu Hause bleiben, wenn es Probleme gibt. Dazu sind die Menschen hier viel zu gastfreundlich. Das wäre dann eher eine Geschichte für die Enkel: Damals als die deutschen mit dem defekten Motorrad da waren, da konnte ich helfen, das war schön.

Ayhan (so hat sich der Geschäftsführer inzwischen vorgestellt) gibt uns nun seine Telefonnummer Privat und geschäftlich, damit wir solange wir in Ankara und Umgebung sind jederzeit anrufen können. Er würde dann auch sofort einen Mechaniker losschicken. Dann kommt auch schon der Tee.

 

Ayhan trinkt grünen Tee, was sehr ungewöhnlich für einen Türken ist. Wir sprechen ihn drauf an und er erklärt, dass grüner Tee angeblich jung hält und wir sollten doch mal sein Alter schätzen. Dabei holt er noch stolz seine beiden Kinder dazu. Unserer Schätzung nach ist Ayhan ca. 28-30 Jahre alt. Sein Grinsen fällt etwas in sich zusammen, haben wir ihn beleidigt und für älter eingeschätzt? Um das etwas grade zu biegen, bitten wir ihn unser Alter zu schätzen. Er schaut von einem zum anderen. Ich bin zuerst dran. Bei den Worten 36 Jahre, kann ich mir ein fettes Grinsen nicht verkneifen, und bedanke mich für diese Einschätzung. Tilman schätzt er auf ca 38. Auf die Frage ob er richtig gelegen hat, erntet er von Tilman ein deprimiertes „vor nicht all zu langer Zeit wurde ich noch auf 25 geschätzt" und ein frohlockendes „nein" von mir.

 

Ayhan zieht die Augenbraue hoch und fragt mich nach meinem wirklichen Alter. Nachdem ich ihm gesagt habe, er solle mal noch 11 Jahre auf die 36 draufrechnen, schiebt er seinen grünen Tee zur Seite mit der Bemerkung: „Ich wusste, es ist eine Lüge!"

Während wir nun unseren Tee schlürfen, ergießt sich über uns ein in englisch gehaltener Monolog über die Denkweise und das Verhalten seiner Landsleute. Ich glaube hier war jemand froh endlich mal englisch sprechen zu können. Wenn wir noch einen zweiten oder dritten Tee getrunken hätten, wären wir sicherlich bei Ayhan zu Hause gelandet. Und am nächsten Tag hätte der Mechaniker nach meinem und Tilmans Motorrad geschaut. Was wäre wenn...?

 

Wir möchten weiter, denn für uns fühlt es sich so an als würden unsere Urlaubstage sehr schnell immer weniger. Und auch heute ist es schon wieder viel später als geplant, als wir Ankara verlassen. So ganz haben wir dieses „inshallah" noch nicht verinnerlicht. Auf der weiteren Fahrt ändert sich die Landschaft wieder. Alles wirkt grüner und frischer.

Es wäre schön an ein Plätzchen an einem Flüßchen oder See zu finden. Doch leider entdecken wir nichts was uns gefällt, da haben wir doch so unsere Ansprüche. Das Land hier ist recht dünn besiedelt und langsam aber sicher machen sich auch unsere Mägen bemerkbar.

 

In Kızılcahamam, einem bekannten Thermalort, werden wir fündig. Ein riesen „Döner" mit Pommes drauf und eine Cola dazu für umgerechnet 1,25 € trifft unseren Geschmack.

Nach dem bzw. beim Essen und Trinken werden hier ja bekanntlich Probleme und Fragen gelöst. Deshalb fragen wir gleich mal nach einem Platz für unser Zelt oder einem günstigen Zimmer.

 

Der junge Mann, der hier ständig ein- und ausgeht, hängt sich gleich ans Handy. Wenige Minuten später teilt er uns mit, er hätte eine 3-Zimmer-Wohnung für uns, und es käme innerhalb der nächsten 10 Minuten jemand der uns die zeigt. Wir warten und warten, um die weiter Zeit zu vertreiben, versuchen wir am Preis zu feilschen. Ohne Frühstück soll uns die Wohnung um die 80 TL kosten.

Ein bischen viel im Vergleich zu Pamukkale. Endlich kommt die Tante des Jungen, und wir fahren zweifelnd hinterher. Es kommt uns ein wenig wie Nepper, Schlepper, Bauernfänger vor. Als wir jedoch auch noch sehen müssen, dass wir die Motorräder über einen nicht enden wollenden, ca. 30 cm hohen Bordstein heben sollen, wollen wir
uns die Wohnung erst gar nicht mehr ansehen.

 

So höflich wie ich es auf türkisch hinkriege, lehnen wir das Angebot ab, und machen uns davon. In Kızılcahamam fahren wir noch bei zwei weiteren Pensionen vorbei. Die eine ist ihr Geld nicht wert und die andere leider voll.

 

Genervt fahren wir weiter in Richtung Schwarzes Meer um irgendwo wild zu campen. Wäre doch gelacht wenn sich da nicht ein hübsches Eckchen auftreiben liese.

 

Die Sonne ist hinter den Hügeln verschwunden und es wird immer kühler. Tilman hat sich seine Texjacke angezogen und friert vor sich hin. Das ist nicht gut, und er wird auch immer stiller. Jetzt sollten wir schnell was finden. Doch es geht kein Weg und kein Steg von der Straße ab in die Wildnis.

Nach einer weiteren dreiviertel Stunde passieren wir Fahnenstangen mit übel zugerichteten Fetzen dran. Auf dem großen Schild steht Mocamp und zwischen den Bäumen können wir auch Wohnwagen erkennen.

 

Nix wie umdrehen und nachfragen. Hier können wir für 100 TL inkl. Frühstück einen Holzbungalow mieten oder für 30 TL ohne Frühstück zelten. Ein warmes Bett und eine heiße Duschen finden wir verlockender als das Zelt, zumal Tilman meint einen überfahrenen Wolf am Straßenrand gesehen zu haben. Diesen wollen wir uns morgen aber nochmals genauer anschauen.

 

Die heiße Dusche muss erst mal warten. Weil die Gasflaschen leer sind, dauert es bis warmes Wasser durch die Leitungen fließt.

Im Schrank liegen noch Extradecken. Die breite ich über uns aus und wir können uns damit bis zur Nasenspitze zudecken.

 

So früh wie an diesem Tag haben wir uns noch nie hingelegt, es ist noch hell draußen, aber Tilman ist richtig durchgefroren und froh über die Extradecken. Auf seinem
Smartphone schauen wir uns noch einen Film an, da hören wir Motorengebrumm vor
der Tür. Fragend schauen wir uns an. Das waren doch gerade Motorräder...?

 

Wir „springen" an die Tür und sehen in den Bungalows nebenan Licht. Da stiefelt auch schon einer aus dem Dunkeln auf uns zu, um hallo zu sagen. Sie sind zu siebt auf 4 Motorrädern und auf dem Heimweg vom Irak nach Polen. Auch sie frieren und wollen nur noch heiß duschen und abliegen. Die sieben Polen sind sehr ruhig und nachdenklich. Was sie wohl alles gesehen und erlebt haben?

 

Daran dass wir unseren Atem sehen können, erkennen wir, dass es nicht nur kühl sonder echt kalt ist. Gut dass wir nicht im Zelt schlafen. Mein Finger bekommt noch ein neues Pflaster und dann husch wieder unter Decke und schlafen.