Ich wache auf bevor mein Wecker losplärren kann. Dieses Haus hat so eine negative Ausstrahlung, da schüttelt es mich. Deshalb packe ich auch schon so gut wie alles zusammen, damit wir nach dem Frühstück zügig die Zimmer räumen können. Das Frühstück ist alles andere als prickelnd. Um uns rum sitzen lauter Männer in Anzügen und betrachten uns in unserem Motorrad-outfit skeptisch. Das ist unsere Art der Rebellion: Motorradstiefel, Lederhose und schwarzes T-Shirt.

Normal bin ich der Frühstückstyp und genieße es gerne ausgedehnt zu frühstücken. Aber hier will ich nur noch schnell weg. Für mich ist das ein echtes Horrorhaus, so beobachtet fühle ich mich hier. Ich will nur noch weg. Endlich sind wir dann wieder in Istanbuls Straßenschluchten. Befreit wie ich mich fühle, bin ich heute der coolere Fahrer von uns beiden. Tilman ist doch leicht angestresst davon, dass wir heute über eine der beiden Brücken fahren müssen. Doch zuerst bringt uns das Navi in eine „Sackgasse".

Ein locker 25 cm hoher Bordstein verwehrt uns die Weiterfahrt. Und jetzt? Bevor wir noch so recht wissen wie wir weiterfahren können, macht uns ein Passant darauf aufmerksam, dass die Straße hier durchaus weitergeht. Das ist halt Türkei. Ein findiger Anwohner, hat einfach einen 10 cm Vierkantbalken an den Bordstein gelegt. Und so abgenutzt wie der aussieht, erfreut sich dieser Weg reger Benutzung. Offroad mitten in der Stadt.

Tilman setzt gleich drüber und muss mich erstmal überreden da runterzufahren. Ich gebe meinem Herzen einen Stoß und alles klappt prima. Auf unserem Weg zum zweiten Zwischenziel in Istanbul den TT-customs haben wir uns brav in der Autoschlange eingereiht, und bekommen schon zu spüren, was für ein heißer Tag das heute noch wird. Kein Schatten weit und breit. Immer wieder werden wir von anderen Motorradfahrern und Rollern überholt, die dann auf dem Standstreifen zügig an der Autoschlange vorbeiziehen. Sollen wir auch? Dürfen wir?

So richtig trauen wir uns nicht, bis einer der Motorradfahrer Erbarmen hat, und uns mit Winken anzeigt ihm zu folgen. Also nix wie hinterher. Flott kommen wir jetzt voran und haben binnen kürzester Zeit den Bosperus überquert. Unsere Mautkarte brauchen wir gar nicht, denn es gibt kein Kassenhäuschen.

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Tilman's Navi führt uns weiter die Stadtautobahn lang. In 2,5 km sollen wir rechts abbiegen. Unsere Freude, dass alles so gut klappt ist verfrüht. Das Abbiegen wird uns mit einer Leitplanke verwehrt. Vor 2 km hätten wir uns da schon rechts einordnen müssen. Woher sollen wir das wissen? Und überhaupt warum bauen die da eine Leitplanke auf insgesamt 5 km Länge? Wir müssen also die nächste Ausfahrt nehmen und umdrehen. Kaum dass wir umgedreht haben, sollen wir schon wieder rechts abbiegen. Doch diesmal gibt es keine Abfahrt. Fast haben wir die Bosporusbrücke erreicht, da können wir endlich abbiegen. Nun sind wir auf Istanbuls normalen Verkehrswegen unterwegs. Hügelaufwärts und –abwärts. Von der Richtung fühlt sich das total falsch an, aber das Navi meint wir sind richtig.

Da wir hier fremd sind vertrauen wir mal auf die Technik. Und tatsächlich in einer Mini-Nebenstrasse finden wir die TT-Customs. Ein Umbau am anderen steht hier. Richtig schöne Maschinen. Tilman packt gleich die Kamera aus und macht Fotos. Kaum dass er angefangen hat, kommt auch schon ein Mitarbeiter auf uns zu und fragt ob wir überhaupt die Erlaubnis haben Bilder zu machen.

Verdutzt schauen wir aus der Wäsche. Man braucht hier eine Erlaubnis zum Fotografieren ? Ok, nachdem wir gesehen haben wie abgeschirmt das Haus des Bosses ist, warten wir lieber auf die Erlaubnis. Doch wir dürfen, allerdings bleibt uns der freundliche Mitarbeiter auf den Fersen. Er erklärt uns, dass der Showroom im asiatischen Teil von Istanbul liegt. Da kommen wir grade her und wollen nicht wirklich noch mal zurück fahren. Wir bekommen Tee und Wasser angeboten, und die Antwort auf meine Frage ob ich hier eine Sonnenbrille kaufen kann, ist leider negativ. Aber ein zweiter Mitarbeiter wird uns zur Seite gestellt, der uns zu einem Laden vorrausfahren soll.

Abfahrbereit, auf seiner Harley, wartet er bis wir umgedreht haben. Mann der hat ein Tempo drauf, und irgendwie muss sein Boss wohl echt was zu sagen haben, denn kein Auto nähert sich ihm mehr als 2 Meter. Das ist sehr ungewöhnlich für Istanbuler Autofahrer. Ich hab mich inzwischen an die Fahrerei gewöhnt und drängel mich auch schon wie ein Einheimischer vor. Über Headset meint Tilman, wenn er mich noch 2 Tage in Istanbul fahren lässt, könnte man meinen Fahrstil von den hiesigen Fahrern nicht mehr unterscheiden. Ja, es ist halt alles eine Sache der Gewöhnung. Keine 10 Minuten brauchen wir zu dem besagten Laden. Leider gibt es dort nur eine Sorte Sonnenbrille, nämlich eine für Harley-Fahrer, und die passt nicht unter meinen Helm, also zum 2. Laden etwa 300 Meter weiter. Doch auch da hab ich kein Glück. Die Bügel sind viel zu dick. Bedauernd verabschieden wir uns dankbar von unserem Begleiter.

Auf wohlmeinenden Ratschlag von Tilmans Mama, dass man in Istanbul zumindest die Hagia Sophia sehen sollte, geben wir dieses Ziel im Navi ein. Wir haben ja noch Zeit es ja noch nicht mal Mittag. Doch bei diesen Temperaturen ist das keine gute Idee. Die Straßen werden immer kleiner und schmaler. Die Touristenbusse, Taxis, Kopfsteinpflaster und eine Unmenge an Fussgängern verlangen höchste Konzentration, denn als Zweiradfahrer wirst du hier gerne übersehen. Auch wenn du jede Menge Gepäck dabei hast. Gut dass die Hupen funktionieren.

Laut Navi müssen wir die linke Straße fahren, um auf einem kleinen Platz zu kommen. Das ist aber eine Einbahnstrasse. Uns ist das inzwischen egal. Der Schweiß rinnt uns in die Hose und wir fahren einfach falschrum in die Einbahnstraße rein. Schön langsam und ganz auf der rechten Seite. Keine Sau beschwert sich oder holt die Polizei, und wir erreichen den Platz vor der Hagia Sophia. Zwischen zwei Touristenbussen halten wir an. Ich ziehe meine Texjacke aus. Bis jetzt habe ich die immer angehabt. Aber was zuviel ist, ist zuviel. Die ist so nass geschwitzt, dass sie über Nacht nicht mal mehr trocknet. Touristenströme ergießen sich über den Platz. Wo sollen wir denn da die Motorräder abstellen, ohne dass etwas geklaut wird?

Tilman stellt sich zwischen einen der vielen Reisebusse, macht sich an die Arbeit und fotografiert von außen. Wir sind uns innerhalb von  Sekunden einig, dass wir hier nichts von innen anschauen werden. Zu viel Tourismus.  Istanbul muss warten, bis wir ohne Motorräder noch einmal herkommen und uns alles anschauen werden.

Nicht mal 5 Minuten nachdem wir an der Hagia Sophia angekommen sind, fahren wir auch schon wieder weg. Zwischen Bussen und Trams bahnen wir uns unseren weiteren Weg Richtung Kesan.

Es dauert seine Zeit, bis wir Istanbul wirklich verlassenhaben. Eine riesige Stadt. Aber schließlich können wir dann doch noch den kühlen Fahrtwind genießen. Ein Stück an der Küste entlang und dann Richtung Ipsala. Wir fahren und fahren, was für eine pure Emotion nach unserem Aufenthalt in einer Metropole. Ipsala und die griechische Grenze sind zum greifen nah. Ich möchte noch ein/zwei Souveniers kaufen für die daheim gebliebenen. Deshalb wollen wir in Ipsala eine Pension suchen und einen kleinen Laden. Leider ist Ipsala dafür zu klein und die beiden Pensionen sind voll. Wir könnten auch sicherlich noch mal zu Ikbal's Mama fahren. Doch für diese Gastfreundlichkeit sind wir wohl zu Deutsch. Das nächste Mal – versprochen.

Also zurück Richtung Kesan, das war auf dem Hinweg ja schon einmal eine Haltestation. Auf der Schnellstrasse dorthin, passieren wir ein Hotel, das mit Camping wirbt. Nix wie umgedreht und nachgefragt. Zu unserer Enttäuschung ist das kein Hotel mehr, sondern „nur" ein Restaurant, das für größere Feste genutzt wird. Da es schon spät ist, frage ich nach ob wir wenigstens unser Zelt aufstellen dürften und ob es eine Dusche gibt. Beides beantwortet der Wirt mit „Evet" (ja). Prima, für einen Kostenanteil von 10 TL am warmen Wasser, ist Campen umsonst. Zelt aufbauen, duschen und Wäsche waschen, klappt alles wie am Schnürchen. Im Lokal selbst kann ich uns noch mit Trauben, Nektarienen und Bananen versorgen. Ein sehr vitaminreiches Abendbrot. Heute gehen wir früh schlafen, denn am nächsten Tag erwartet uns eine anstrengende, weil langweilige Autobahnstrecke bis Ionannina.