Fernsteinsee - Venedig


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Eigentlich hatten wir heute eine gemütliche Strecke vom 405 km geplant. Larissa wollte ihr Mopped vom Rasen auf den Weg fahren, um den Koffer richtig einhängen zu können. Ihr Ständer war über Nacht doch einige Zentimeter eingesunken.

 

Einige Sekunden, nachdem sie losgefahren ist, lässt es hinter mir einen Schlag. Ich drehe mich um und sehe das, was ich zu meinem Schrecken schon vermutete. Sie liegt mit scherzverzerrtem Gesicht unter der Maschine.

 

Sie schiebt sich darunter hervor. Ich hebe zuerst mal die Maschine auf, in der Hoffnung, das es nur halb so schlimm ist. Sie war ja nun nicht schnell.

 

Aber ein Blick auf die blutende Hand lässt nichts Gutes vermuten. Der Helm, den Sie am Spiegel eingehängt hatte, hat vermutlich ein Lenkmanöver nicht richtig zugelassen. Der Helm liegt mit abgefallenem Visier, voll mit Grasfetzen am Boden.

 

Larissa geht mit der blutenden Hand zum Waschraum und kommt wenig später mit einem Papiertaschentuch um die Hand wieder. Sie meint: "Ich glaube, dass muss genäht werden."

Sie zeigt mir, mit leichtem zittern ihren Finger, wo eine klaffende gequetschte Fleischwunde zu sehen ist.

Die Sturzstelle...

Wir lassen erst mal Alles stehen und liegen. Mit scheinbar allen wichtigen Papieren bewaffnet, gehen wir zur Rezeption. Dort wird ein wenig telefoniert, bis herrausgefunden wird, wo der nächste Arzt zu finden ist.

 

Nur, wie kommen wir dort hin? Nach noch ein paar Telefonaten, fährt sie ... zum Arzt.

 

In der Hoffnung, dass es doch nicht ganz so schlimm wird, wie ich eigentlich vermute, sage ich, dass ich hier bleibe, den Helm reparieren will und den Rest zusammenpacken werde. Schließlich hatten wir heute locker 6 Stunden Fahrt vor uns.

 

Kurz nachdem sie gefahren sind, kommt ein Rettungshubschrauber zum See geflogen. Bestimmt ein Tauchunfall, denke ich. Kurz darauf braust auch schon die Polizei vorbei.

Der nette Platzwart holt sein Vehikel, und wir "brausen" los. ich habe mir ein Papiertuch fest um die blutende Stelle gewickelt. Das drücke ich ganz fest zusammen. Sehr gesprächig bin ich nicht. Mir hat es etwas die Sprache verschlage.

Gedanken wie: "Muss dass jetzt passieren, muss Tilman die Tour jetzt alleine Fahren?..."

 

Wir fahren beim Arzt vor. Der macht zwar erst um 10 uhr auf, aber für meinen Notfall hat er sofort Zeit. Dr. Oberleit macht sich auch gleich ans Werk und verpasst mir erstmal eine Spritze. Wow jetzt weiss ich was Folter sein kann.

 

Nun ist der Finger vom Wurzelgelenk bis zur Spitze nicht mehr zu spüren. Der Doc macht erstmal alles sauber und prüft wie und wo er nähen muss.

Dann legt er los. Das Adrenalin im Blut wird weniger und ich fange an den guten Mann vollzuquasseln.

 

Total gelassen und absolut konzentriert macht er Naht für Naht. Da er mir 20 ml Betäubungsmittel eingespritzt hat, hat er dafür auch Zeit. Beim nähen teilt er mir eine weitere Hiebsbotschaft mit. Das vorderste Fingerglied ist wahrscheinlich gebrochen.

Ich soll das noch röntgen lassen.

 

In Gedanken sehe ich die Fähre schon ohne uns abfahren. Irgendwie denkt sich der Doktor wohl, dass ich mich nicht aufhalten lassen möchte. In den Verband arbeitet er also eine kleine Holzschiene ein.

 

Eine gefühlte Ewigkeit später ist er fertig. Sauber verbunden sehe ich meinen Finger wieder. Vor lauter Aufregung vergesse ich ganz zu fragen, wieviele Nähte er nun gemacht hat. Das heißt

 

Ich bekomme noch eine Überweisung in die Hand gedrückt fürs Röntgen und dann geht es an den Empfang. Meine AOK Karte bräuchte die nette Dame. Na toll, die ist in meinem Ersatzgeldbeutel sicher verpackt im Seitenkoffer, auf dem Campingplatz!

 

Na dann müsst ich halt bar zahlen,weil VISA nehmen sie nicht. Die Antwort auf meine Frage, wie hoch denn die Rechnung sei, hät ich lieber nicht gehört: 320 €

Das gibt ein riesen Loch in der Urlaubskasse.

Und die nächsten 3 Tage sollt ich kein Motorrad fahren.

 

Nun denn, erstmal zum Platz zurück. Auf dem Weg zurück geht es mir besser. Der erste Schock ist vorbei und ich unterhalte mich mit dem Platzwart.

 

Der kommt aus Oberammergau und macht in seiner Freizeit Crossläufe. Das ist wie Crossmotorrad fahren, nur zu Fuß. Wenn er dann ganz viel Zeit hat, fährt er auch noch nachts mit dem Kajak über den See.

 

Er erklärt mir auch das österreichische Notrufsystem für das Wochenende. Da muss man nur eine zentrale Nr anrufen und seine Postleitzahl angeben, dann wird man sofort mit dem diensthabenden Notfallarzt verbunden. Keine schlechte Idee.

 

Wir stehen im Rückreiseverkehr und ich schick Tilman gleich mal noch eine Info.

Nachdem ich genügend Zeit hatte, alles fein säuberlich einzupacken und ich schon einige Minuten auf einer Sonnenliege wartete, kam eine SMS. "Wir stehen im Rückreise-Stau und brauchen noch ne Weile."

 

Also fahre ich die Motorräder schon mal vor die Rezeption und paare das zweite paar vom Sprechfunk. Larissa schrieb noch was von "Ibuprofen". Ich fand 600'er, von denen Sie sich nach ihrer Ankunft gleich eine genehmigte.

Um 12 Uhr kamen Sie zurück. Noch hatte Sie gut Lachen. Noch wirkten die beiden Spritzen die Ihr der Arzt in die Hand verpasst hatte. Sie war ganz stolz, nun auch eine Narbe zu haben, wie Ihre Kinder, die oft damit angeben würden. 

Sie konnte keine Handschuhe mehr tragen. Also fuhren wir dementsprechend langsam los. Wir suchten per Navi die kürzeste Strecke heraus. Ursprünglich wollten wir über den Reschenpass fahren. Aber das Navi hatte einen anderen Vorschlag, der sich zu unserer Freude als sehr schöne Alternative herrausstellte.

 

Leider kam ich erst sehr spät auf die Idee das ganze zu Filmen. Somit sind die schönsten Passagen nur in unseren Köpfen gespeichert. Aber ich kann nur jedem empfehlen, sich das mal in echt anzusehen.  

Ein verspätetes Mittagessen haben wir auf 2168 m Höhe zu uns genommen. Leider war die Küche nicht mehr geöffnet. Somit mussten wir uns mit Lasagne und Minestrone zufrieden geben. War zwar echt gut, aber für 24 Euro auch recht heftig im Preis.

Als wir im in Treviso ankommen ist es bereits stockdunkel und trotzdem noch sehr warm. Wir halten an einer Eisdiele und Larissa frägt mit Händen und Füßen, wo wir heute noch übernachten können. Wegen ihrem Finger sollte es dieses Mal lieber ein Hotel sein. Sie bekommt eine kleine Skizze aufgemalt, nach der wir nur einige 100 m zurück müssen.

 

Tatsächlich finden wir kurz hinter der Beschriebenen Tankstelle das Da Renzo. Ob wir ein noch ein Zimmer bekommen? Wieder steigt Larissa ab – sie hat ja schon Übung – und frägt. Klasse, wir haben ein Zimmer mit Frühstück. Der Preis ist zwar hoch, aber für die Nähe zu Venedig vermutlich nicht überteuert.

 

Wir dürfen unsere Maschinen hinten im überdachten und abgeschlossenen Hof parken. Zuerst fahre ich die Honda nach hinten. Das geht ja noch sehr bequem. Dumm von mir war nur, dass ich die BMW in einen Parkplatz vor dem Hotel gefahren hatte, in dem es zuerst bergab ging. Neben mir standen Autos. Ich hab den schweren Bock nur Zentimeter für Zentimeter aus dem Parkplatz bekommen. Jetzt war eine Dusche mehr als nötig.

 

Wir bezogen die Zimmer. Das gesamte Bad war behindertengerecht ausgeführt und somit echt großzügig und vollständig in Takt. Das erste was ich machte, bevor ich wirklich das nötigste einräumte, war die lang ersehnte Dusche zu nehmen.

 

Unsere Motorräder verursachten schon ziemliches Aufsehen. Ein Vater erzählte seinem kleinen Jungen mit glänzenden Augen irgendwas von „Paris-Dakar". Ich packte kurzerhand den kleinen und setzte ihn auf die BMW. Ein breites Grinsen stellte sich ein, als er so tat, als würde er Gas geben. Seine Schwester kam, obwohl ja nur ein Sitzplatz frei war, auch noch mit drauf und so entstand folgendes Bild.

Dafür, dass wir so freundlich empfangen wurden, hab ich das erste Mal in dieser Reise den Drucker ausprobiert und das Bild mit den zwei auf dem Motorrad am nächsten Morgen der Oma der beiden in die Hand gedrückt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sie gestrahlt hat.

 

Abends, als Larissa wegen der Schmerzen leicht vergebens versucht einzuschlafen, schreibe ich nun endlich zum ersten Mal auf Moto-Diary weiter. Ich habe mir für 4 Euro einen 4 Stunden Internetzugang besorgt. Für die nun herrschende Bandbreite mehr als Fair.